Keine Festrede im üblichen Sinne, sondern ein Blick in die Geschichte und die Erinnerung an einen aufrechten Sozialdemokraten erwarteten die Gäste, die im Jahr 2003 zum 30-jährigen Jubiläum des SPD-Ortsvereins Piding in den Alten Pfarrhof kamen.
Dr. Hans-Jochen Vogel, der ehemalige Münchner Oberbürgermeister und Bundesjustizminister, der als Vorsitzender der Bundespartei und der Fraktion im Deutschen Bundestag die Sozialdemokratische Partei Deutschlands geprägt hat, sprach auf Einladung der SPD Piding über den im Oktober 2000 verstorbenen Politiker und Journalisten Josef Felder.
Zu Beginn der Veranstaltung konnte der Ortsvorsitzende Roman Niederberger im voll besetzten Saal neben der örtlichen Prominenz auch politische Weggefährten von Hans-Jochen Vogel begrüßen: Bundesverteidigungsminister a. D. Georg Leber und den ehemaligen Oberbürgermeister von Weissenburg (Mittelfranken) Dr. Günter Zwanzig, der von seiner 101-jährigen Mutter begleitet wurde.
Einem Grußwort des Pidinger Bürgermeisters Valentin Reichenberger, der an die gute Tradition der überparteilichen Zusammenarbeit in der Familie Vogel erinnerte, folgte ein Rückblick von Roman Niederberger auf die dreißigjährige Geschichte der SPD Piding. Obwohl erst am 6. Januar 1973 offiziell ein Ortsverein gegründet wurde, gab es schon weit vorher aktive Sozialdemokraten in Piding. Berta Edelmann, die Gründerin der Pidinger Arbeiterwohlfahrt, war eine von ihnen. Sie wurde bereits 1952 als erste Frau in den Gemeinderat gewählt und gehörte ihm bis 1967 an.
Niederberger erinnerte an die kommunalpolitischen Erfolge der SPD nach Gründung des Ortsvereins unter dem ersten Vorsitzenden Ulrich Stiegler. Die Unterführung am Schlossweg, drei neue Spielplätze und ein Verkehrsübungsplatz kamen aufgrund von SPD-Anträgen zustande. Während der Amtszeit von Christa Kickner, die 1985 den Ortsvorsitz übernahm, organisierte der Ortsverein unter anderem die Reihe „Kultur im Alten Pfarrhof“, eine große Diskussionsveranstaltung zum Thema Atomenergie nach der Katastrophe von Tschernobyl und einen Besuch in der Partnerstadt Edremit.
Seit 1996 wird der Ortsverein von Roman Niederberger geleitet, der dieses Jahr Landtagskandidat der SPD war, mit Heli Hirsch und Dieter Schaefer als stellvertretenden Vorsitzenden. Auch in dieser Zeit ist die SPD Piding politisch und gesellschaftlich aktiv geblieben: zuletzt mit zwei Anträgen an den Bundesparteitag der SPD im November. Der SPD-Ortsverein konnte seit seiner Gründung auch prominente Gäste in Piding begrüßen; darunter Bundesgesundheitsministerin Käthe Strobl, Bundesfinanzminister Hans Apel, den SPD-Landesvorsitzenden Volkmar Gabert und Staatssekretärin Ulrike Mascher. „Wir bleiben aktiv und setzen uns weiter als Sozialdemokraten für und in Piding ein“, versprach Niederberger zum Abschluss seines Rückblicks und gab das Wort weiter an Hans-Jochen Vogel.
Ein dreißigjähriges Jubiläum allein sei mit Blick auf die 140 Jahre zurückliegende Gründung der SPD für ihn grundsätzlich kein Anlass, bei einem Festakt zu sprechen, meinte Hans-Jochen Vogel zu Beginn seiner Ausführungen. Er wollte aber der Bitte nachkommen, mit Josef Felder an einen außergewöhnlichen Sozialdemokraten zu erinnern, der auch für die Region von großer Bedeutung gewesen ist und mit seinem Besuch die SPD vor Ort solidarisch unterstützen.
Josef Felder wurde im Jahre 1900 in Augsburg geboren und setzte sich bereits in seiner Jugend gegen Ungerechtigkeiten ein, was ihm als Schüler eine harte Prügelstrafe eines seiner Lehrer eintrug. Dieser Lehrer war Julius Streicher, der später unter der NS-Herrschaft als antisemitischer Hetzer und „Frankenführer“ traurige Berühmtheit erlangte.
Der gelernte Drucker und Setzer Josef Felder war nach dem ersten Weltkrieg mit dabei, als Kurt Eisner auf der Theresienwiese den Freistaat Bayern ausrief. Er erkannte schon früh in den 20'er Jahren die große Gefahr, die von Adolf Hitler und den Nationalsozialisten ausging und kämpfte als junger SPD-Reichstagsabgeordneter für die Demokratie.
Mit anschaulichen Worten schilderte Hans-Jochen Vogel die Situation, in der sich Josef Felder zusammen mit 93 Kolleginnen und Kollegen der SPD-Reichstagsfraktion am 23. März 1933 bei der Abstimmung über das nationalsozialistische Ermächtigungsgesetz wiederfanden. Er zitierte dazu einen ausländischen Journalisten, der die Rede des SPD-Fraktionsvorsitzenden Otto Wels miterlebte:
QFür eine Sekunde verbreitete sich Todesschweigen im Hause, während von draußen die drohenden Sprechchöre der SA hereindrangen. Weiß bis an die Lippen, den Mund zusammengepresst, mit harten Zügen in sichtbarem Bewusstsein der Schwere, des Ernstes und der Gefahr des Augenblicks, bestieg Otto Wels langsam die Rednertribüne. Den Kopf leicht gesenkt, aber die stämmige Gestalt gestrafft, die Schultern hochgezogen, als ob er in ein Gewehrfeuer schritte."
Trotz Gefahr für Leib und Leben stimmte die SPD als einzige Fraktion im Reichstag gegen das Ermächtigungsgesetz; die Kommunisten waren bereits vor der Sitzung verhaftet worden. Vogel erinnerte besonders an die Rolle der Sozialdemokratinnen bei dieser Entscheidung: In einem vorhergehenden Fraktionstreffen hatten vor allem die Frauen und jungen Abgeordneten für die Teilnahme an der Reichstagssitzung und das Nein zum Ermächtigungsgesetz gesprochen.
Diesen Mut musste Josef Felder zunächst mit der Emigration und später mit zwei Jahren Leiden im Konzentrationslager Dachau bezahlen. Die NS-Zeit überstand er mit Hilfe seines Arbeitgebers, des Fabrikanten Willy Bogner.
Nach dem Krieg spielte Josef Felder als Herausgeber des Bad Reichenhaller „Südostkuriers“ eine wichtige Rolle beim Wiederaufbau der demokratischen Presselandschaft im Berchtesgadener Land. Er wechselte Mitte der 50'er Jahre als Chefredakteur zur SPD-Parteizeitung „Vorwärts“ und wurde 1957 in den Deutschen Bundestag gewählt, dem er bis 1969 angehörte. Zeit seines Lebens meldete er sich als Zeitzeuge der Weimarer Republik und Ehrenvorsitzender der bayerischen SPD zu Wort und gab seine Erfahrungen in unzähligen Veranstaltungen an Schüler und junge Menschen weiter.
Zur Frage, was man aus Josef Felders Leben lernen könnte, stellte Hans-Jochen Vogel fest, dass die heutige Zeit statt Beliebigkeit Orientierung brauche. Mit sich selbst im reinen zu sein, sei höher einzuschätzen als materieller Wohlstand. Jede und jeder sei im privaten und beruflichen Bereich aufgerufen, für Toleranz und Demokratie einzutreten.
Am Ende seines Vortrags zitierte Vogel Kurt Schumacher mit seinem Ausspruch: „Die Sozialdemokratie bleibt das sauberste Stück der deutschen Geschichte!“. Die anstehenden Aufgaben gelte es jetzt anzupacken; an dem Festabend habe er bei den örtlichen SPDlern auf jeden Fall in keine verzagten Gesichter geblickt.
Zum Abschluss der Veranstaltung überreichte Roman Niederberger Hans-Jochen Vogel als Andenken ein Foto aus dem Archiv der SPD Traunstein zusammen mit einer Flasche Rotwein und bedankte sich für die nachdenkliche und trotzdem engagierte und kurzweilige Rede, die vom Publikum mit lang anhaltendem Applaus bedacht wurde.